Kirchturm
Wie alt ist Kirche und Turm der Ev. Kirche in Flacht?
Die Flachter Kirche wurde im Barock (um 1700) neu gebaut und um 1778 neu gestaltet. Sie enthält im Bereich des Chores aber gotische und im Turm romanische Elemente.
Augenfällig ist das Rhombendach der Kirche, auch als Rheinischer Helm bezeichnet, da diese Dachform vor allem im Rheinland vertreten ist. Ein Rhombendach sitzt auf einem Gebäude mit quadratischem Grundriss auf. Eingesetzt wurde diese Form hauptsächlich bei Turmhelmen von Sakralbauten. Rhombendächer wurden auf einer Holzbalkenkonstruktion mit Schiefer gedeckt.
Beispiele findet man in Maria Laach, Andernach, Koblenz, aber nur wenige außerhalb des Rheinlandes z.B. in Halberstadt und Sompting, West Sussex.
In unserer Region findet man Rhombendächer am Limburger Dom (vor 1190 begann der Umbau, dem der Limburger Dom seine heutige Gestalt verdankt), an der Lubentiuskirche in Dietkirchen und dem Kloster Arnstein (Baubeginn 1232). an den Kirchtürmen in Kaub, Frücht (Anfang 13. Jhd) und Nassau.
Die Lubentiuskirche erhielt Bei einem Umbau in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurden die Turmdächer in Form von Rautendachhelmen in Dietkirchen fertiggestellt. In Flacht waren sie zu diesem Zeitpunkt wohl schon vollendet.
Im Herbst 2020 wurde ein bauhistorisches Gutachten bezüglich der Dachbalken von Kirche und Turm der Ev. Kirche Flacht angefertigt. Die Untersuchung durch Herrn Dr. Hans-Hermann Reck (Büro für bauhistorische Gutachten) und das Jahrringlabor Hofmann und Reichle in Nürtingen bestätigten in Bezug auf das Flachter Kirchendach eine weitreichende Reparatur im Jahr 1778 und beim Turm dessen bis in die Romanik zurückreichendes Alter.
Herr Dr. Recks Untersuchungen bestätigen einen Befund aus dem Hauptstaatsarchiv Wiesbaden. Dort findet sich die Mitteilung: „Bei einer eingreifenden Reparatur im Jahr 1778 stürzte die Kirche bis auf den Turm und das Mauerwerk des Chors ein, so dass ein weitgehender Neubau nötig wurde.“ (Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: Best. 175, Nr. 333).
Bei genauer Betrachtung erkennt man, dass das Dach sich auch über den dreiseitigen Chor, dessen Spitzbogenfenster und Strebepfeiler noch auf die Gotik hinweisen, erstreckt.
Schon 2006 war bei einer Erfassung historischer Holzkonstruktionen von Kirchen im Bereich der EKHN festgestellt worden, dass Schiff und Chor eigenständig abgebundene Dachwerke besitzen und das Schiffsdach ursprünglich im Oberdach mit einem Walm nach Osten enden sollte.
Dies passt insofern gut zu der Überlieferung, als das neue Chordach erst durch den Einsturz der Kirche erforderlich wurde und das Schiffsdach mit dem Chordach verbunden werden musste.
Um diesen Befund abzusichern, wurde 2020 eine dendrochronologische Datierung der Dachwerke von Schiff und Chor vorgenommen, wofür am 29.10.2020 aus dem Dachwerk über dem Chor und aus dem des Turmes Bohrkerne entnommen wurden:
Die Ergebnisse bestätigen den Befund: Das entnommene Eichenholz aus dem Dach des Kirchenschiffs ist offenbar größtenteils in der Wachstumspause 1777/78 für die anstehende Reparatur des Schiffs gefällt worden, vereinzelt wurden aber auch Resthölzer aus früheren Fällungen verarbeitet.
Das Eichenholz für das Chordachs ist hingegen erst in der Wachstumspause 1778/79 gefällt worden, also nach dem Teileinsturz der Kirche. Möglicherweise waren die Robauarbeiten schon vor dem Winter 1778 abgeschlossen.
Der sechsgeschossige Turm mit steilem Rhombendach stammt aus romanischer Zeit.
Erkennbar ist dies an den Einzelformen der Schallarkaden und an den für das hohe Mittelalter charakteristische Mauerwerk mit durchlaufenden Schichten gleich hoher Steine.
Zumindest die Balkendecken des dritten und vierten Obergeschosses gehören noch zum ursprünglichen Bestand des Turms. Da das zweite, innen verputzte Obergeschosses und das Dachwerk nur durch ein Loch in einer neueren Zwischendecke über dem Glockenstuhl erreichbar ist, wurde hier keine Untersuchung vorgenommen.
Doch die im 3 und 4. Obergeschoss entnommenen Proben stammen aus der Zeit zwischen 1120 und 1150.
Somit ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, das der Turm im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts, also zwischen 1125 und 1150 gebaut wurde. Damit gehört er zu den ältesten bislang datierten Kirchtürmen der weiteren Region!
Weitere Untersuchungen des Turmdaches sollen nach Herstellung einer Zugänglichkeit vorgenommen werden.
Klaus Wallrabenstein